Was ist der Crowding-Effekt?

Du merkst es nicht sofort, aber deine unbewusste Konzentration auf diesen Text bewirkt, dass du die einzelnen Worte dieses Satzes lesen kannst, während Dinge in deiner Umgebung – die Tasse und dein Smartphone neben dir – verschwommen erscheinen. Man nennt diesen Vorgang Wahrnehmung oder „Perzeption“: Die sinnliche Aufnahme ohne bewusstes Erfassen passiert zum Beispiel mit kurzen Werbebotschaften (Produktplatzierung) in einem Film, Video oder Comic. Eine Störung dieser Wahrnehmung (Perzeption) ist Crowding.
Was bedeutet Crowding?
Crowding bedeutet auf Deutsch übersetzt „Überfüllung“ und beschreibt das Phänomen, dass Formen oder Muster in der Gegenwart benachbarter Muster schlechter erkannt werden.
Sehen oder nicht sehen, ist das hier die Frage?
Fokussieren hilft uns im Alltag, weil wir uns auf das Wesentliche konzentrieren und trotzdem das Umfeld, wenn auch verschwommen oder schemenhaft, wahrnehmen. Ein nahender E-Roller von links wird erfasst, auch wenn du geradeaus zur Fußgängerampel schaust. Unser Gehirn hat das schon früh gelernt. Was, wenn nicht? Zurück zum Anfang.
Sehen muss erlernt werden
Babys sehen in den ersten Lebensmonaten noch wenig, aber für das Wichtigste reicht es: das Gesicht ihrer Eltern nämlich, das jedes Baby erkennt, wenn es im Arm liegt und aufschaut. Hier sind die Allerkleinsten bestens ausgestattet: Nähe bedeutet alles. In den ersten Lebensjahren müssen Kinder das Sehen erlernen. Bei gesunder Entwicklung verbessert sich die Sehschärfe enorm, sodass Kinder mit sieben Jahren schon fast so scharf wie ein junger Erwachsener sehen.
Wenn Sehen nicht erlernt werden kann
Sehentwicklungsstörungen wie Schielen und Augenbewegungsstörungen beeinträchtigen in jungen Jahren das Sehenlernen. Dann prägt sich der Crowding-Effekt besonders stark aus. Dies führt zu erheblichen Schwierigkeiten beim Lesen. Das kannst du dir in etwa so vorstellen: Worte in einer Reihe, wie in diesem Satz, können vom Gehirn nicht mehr trennscharf erfasst und verarbeitet werden. Der Grund dafür ist, dass die Buchstaben zu eng beieinanderstehen. Das Lesen ist wegen der Überfüllung dann unmöglich!
Frühes Erkennen und Behandeln schützen das Kleinkind vor späteren Leseschwierigkeiten und der damit oft verbundenen Lustlosigkeit am Lernen.
C-Test misst die Stärke des C-Effekts
Mit dem C-Test (nach Haase/Hohmann) wird die Sehschärfe von Kindern auf zwei Arten gemessen: einmal mit weit auseinander stehenden Einzel-Sehzeichen und einmal mit eng beieinanderstehenden Reihen-Sehzeichen (siehe Abbildung). Im C-Test zeigt sich, dass Kinder mit einer Sehschwäche (Amblyopie) Reihen-Sehzeichen häufig viel schlechter erkennen können als Einzel-Sehzeichen.

Fazit: Der Crowding-Effekt verschlechtert das Sehen in einer Reihe. Das geschieht im Gehirn, nicht im Auge.
Früh erkannt, Problem gebannt
Wenn ein Kind sprachliche, feinmotorische, phonologische oder visuelle Auffälligkeiten zeigt, sollte es möglichst früh untersucht werden. Am besten geschieht das noch im zweiten Lebensjahr. Die Untersuchung sollte ein Augenarzt oder eine Augenärztin zusammen mit einer Orthoptistin durchführen. So kann eine Sehschwäche oft erfolgreich behandelt werden. Mit jedem Lebensjahr wird der Behandlungserfolg jedoch geringer. Ab 14 Jahren ist es für eine erfolgreiche Therapie meistens zu spät.
Barrierefreie Zukunft oder was könnte sehbehinderten Menschen helfen?
Forscher*innen am University College London (GB) und der Harvard Medical School (USA) glauben, dass ein besseres Verständnis der Mechanismen des Crowdings die visuelle Wahrnehmung von Menschen mit zentraler Sehstörung verbessern könnte. Beispielsweise könnte eine andere Darstellung von Objekten im Internet helfen. „Wenn wir verstehen, wann Crowding auftritt und wann nicht, dann könnten wir Texte und Bilder so darstellen, dass möglichst kein Crowding-Effekt entsteht“, erklärte Dr. John Greenwood vom UCL. „Und wenn wir wissen, wie Gegenstände beim Crowding aussehen, könnten wir Schrift und Bilder vielleicht auch für derart betroffene Menschen lesbar machen.“
Im Jahr Eins des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) ist das eine gute Nachricht.
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